Schlag gegen die "Reichsbürger"-Szene – auch in Bayern
Ermittler durchsuchen bei Razzien gegen die "Reichsbürger"-Szene in acht Bundesländern Wohnungen. Ein Verdächtiger ist aus dem Allgäu. Auch der Rädelsführer stammt aus Bayern.
Es ist gerade einmal ein paar Tage her, dass im beschaulichen Wemding im Landkreis Donau-Ries ein Großaufgebot der Polizei zu einer Razzia anrückte. Der Grund: Bei einer Veranstaltung aus dem "Reichsbürger"-Milieu, zu der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland und Österreich angereist waren, hielten sich zwei Personen auf, gegen die Haftbefehle vorlagen. Nun gab es den nächsten, noch deutlich massiveren Schlag gegen die Szene, die das Rechtssystem und die Existenz der Bundesrepublik Deutschland ablehnt und in der sich Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretiker tummeln.
Am Donnerstagmorgen durchsuchten rund 280 Einsatzkräfte in acht Bundesländern, darunter Bayern, Wohnungen von 20 mutmaßlichen "Reichsbürgern", und zwar unter Federführung des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord und der Generalstaatsanwaltschaft München. Den Beschuldigten im Alter zwischen 25 und 74 Jahren wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen, heißt es aus dem bayerischen Innenministerium. "Die Reichsbürgergruppierung hat im großen Stil bundesweit staatliche Einrichtungen beleidigt und teilweise massiv bedroht, hauptsächlich über Social Media", erklärte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). "Zu konkreten Übergriffen ist es laut den Erkenntnissen unserer Ermittler bislang nicht gekommen." Der Minister machte deutlich, dass konsequentes Vorgehen eine hohe Priorität habe: "Reichsbürger können nicht nur skurrile Spinner, sondern auch gefährliche Straftäter sein, die vor nichts zurückschrecken. Deshalb gehen unsere Ermittler jedem Verdacht nach und schreiten ein, bevor es zu weiteren Eskalationen kommt."
In Bayern wurden zwei Objekte durchsucht, eines davon im Allgäu
Im Freistaat wurden am Donnerstag zwei Objekte durchsucht, nämlich im Landkreis Rosenheim und in Kempten. Im Allgäu hatte es erst am Dienstag eine Razzia in zwei Wohnungen gegeben – dabei hatten es die Ermittler allerdings nicht auf "Reichsbürger" abgesehen, sondern auf Menschen, die antisemitisches Gedankengut und volksverhetzende Inhalte verbreiteten. Bei der aktuellen Razzia, die sich gegen die "Reichsbürger"-Gruppierung richtete, wurde die Wohnung eines 25-jährigen Mannes aus Kempten durchsucht, wie die Generalstaatsanwaltschaft unserer Redaktion mitteilte. Er steht unter anderem im Verdacht, eine E-Mail mit "strafbaren Inhalten" an ein Klinikum für Menschen mit seelischen und neurologischen Erkrankungen in München versendet zu haben. Offenbar wollte er damit die "Freilassung" eines Patienten erreichen.
Die Ermittler durchsuchten außerdem zehn Objekte in Baden-Württemberg, je zwei in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein und je eines in Brandenburg, Hamburg und Niedersachen. Dabei wurden zahlreiche Beweismittel, etwa eine Schreckschuss-Waffe, Reizstoffgeräte sowie Smartphones und Computer sichergestellt. "Alle Beweismittel werden akribisch ausgewertet", kündigte Innenminister Herrmann in einem Pressestatement an. "Dadurch erhoffen sich unsere Ermittler eine weitere Aufhellung des Reichsbürgerumfelds." Folgeermittlungen seien nicht ausgeschlossen.
Der Drahtzieher der Gruppe wurde bereits festgenommen
Der mutmaßliche Rädelsführer der Gruppierung stammt aus Olching im oberbayerischen Landkreis Fürstenfeldbruck. Der 58-Jährige wurde laut Generalstaatsanwaltschaft München bereits im November 2021 festgenommen. Im April 2022 wurde gegen den Mann unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung und Nötigung Anklage vor dem Landgericht München I erhoben. Das Verfahren ist nach Angaben der Ermittler noch nicht abgeschlossen. Der Mann soll der Betreiber des maßgeblichen Telegram-Kanals der Gruppierung gewesen sein.
Die Gruppe habe durch die massenhafte Kontaktaufnahme mit Behörden über Telefon und E-Mail deren Kommunikationswege blockieren und damit Einfluss auf deren Entscheidungen nehmen wollen, teilte die Generalstaatsanwaltschaft weiter mit. Übergeordnetes Ziel sei es gewesen, die Bundesrepublik Deutschland und ihre Einrichtungen zu destabilisieren und rechtmäßiges staatliches Handeln zu verhindern oder zumindest zu erschweren. "Die Gesprächspartner wurden beispielsweise mit Reichsbürgerthesen konfrontiert, der Begehung von Menschenrechts- und Kriegsverbrechen bezichtigt, beleidigt und teilweise mit dem Tode bedroht", heißt es vonseiten der Generalstaatsanwaltschaft.
5500 "Reichsbürger" allein in Bayern
Der Verfassungsschutz rechnet der Szene der "Reichsbürger" deutschlandweit etwa 23.000 Menschen zu. Allein in Bayern sind es den Angaben des bayerischen Innenministeriums zufolge rund 5500. Bis zu 470 Anhänger zählen demnach zum "harten Kern", der seine Ideologie insbesondere durch aggressives Auftreten gegenüber staatlichen Institutionen und Bediensteten zum Ausdruck bringt. 450 Personen gelten als gewaltorientiert. (mit ts)
Die Diskussion ist geschlossen.