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Interview
19.02.2024

Wissenschaftlerin: "Frauen schimpfen und fluchen nicht anders als Männer"

Die Sprachwissenschaftlerin Oksana Havryliv erforscht seit 30 Jahren die Bedeutung und Verwendung von Schimpfworten.
Foto: Uwe Ernst, NDR

Die gebürtige Ukrainerin Oksana Havryliv ist die führende Schimpf- und Fluchexpertin im deutschsprachigen Raum. Sie berichtet, wie ihre Landsleute den russischen Diktator Wladimir Putin verwünschen.

Frau Havryliv, Sie stammen aus der Ukraine und gelten als die führende Schimpfwort-Expertin im deutschsprachigen Raum. Wie wird Schimpfen und Fluchen zum Beruf?

Oksana Havryliv: Alles begann mit einem Witz in einem Heurigenlokal. Nach meinem erfolgreichen Germanistikstudium in der Ukraine kam ich 1994 im Rahmen eines Austauschprogramms nach Wien. Ich saß mit Nachwuchswissenschaftlern aus aller Welt in einem Weinlokal und fragte in die Runde, ob jemandem ein Thema für meine Doktorarbeit einfallen würde. Wir hatten alle schon etwas getrunken. Dann bekam ich den nicht ernst gemeinten Ratschlag, doch über Schimpfworte zu promovieren.

So wurde aus einem Witz Wirklichkeit.

Havryliv: Genau, dachte ich mir doch: Warum sollte ich nicht über Schimpfworte eine Doktorarbeit schreiben. Und so machte ich es dann eben. Seitdem habe ich mehr als 100 wissenschaftliche Beiträge und drei Bücher über das Thema verfasst und das Deutsch-Ukrainische Schimpfwörterbuch herausgegeben. Im Titel meines letzten Buches steckt sogar eine Beschimpfung, heißt es doch: "Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen."

Apropos Depp: Wer ist aus Sicht der Ukrainerinnen und Ukrainer der aktuell größte Depp des Universums?

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Havryliv: Natürlich Putin. Doch meine Landsleute schimpfen noch viel derber über ihn. Sie nennen ihn einen "wahnsinnigen Zwerg" und es hat sich eine kreative Wortkreuzung durchgesetzt: Ukrainer bezeichnen Putin als "Putler", sie sehen ihn ihm eine Mixtur aus Putin und Hitler.

Wie schmähen sie Putin denn noch?

Havryliv: Sie verwenden für ihn häufig das ukrainische Schimpfwort "chujlo". In vielen slawischen Sprachen wird der Begriff als besonders vulgäre Bezeichnung für das männliche Glied eingesetzt. Bei einer Demo in Wien schrie eine Frau lautstark in ein Megafon, Putin sei ein "chujlo", also ein Schwanz. Doch damit ist das Wort unzureichend vom Ukrainischen ins Deutsche übersetzt. "Chujlo" hat in meiner Heimat eine noch viel vulgärere Bedeutung, sodass ich lange das Wort nicht aussprechen konnte. Im Zuge des Überfalls Russlands auf die Ukraine habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich "chujlo" besser ins Deutsche übertragen kann.

Wie ging die Sache für Putin aus?

Havryliv: Ich übersetze "putin chujlo", und damit das wohl häufigste Schimpfwort der Ukrainer für den Diktator, mit: "Putin ist ein Riesen-Arschloch." Denn so stimmt nicht nur der Inhalt, sondern es passen auch die Intensität und Häufigkeit des Gebrauchs überein.

Als Sprachwissenschaftlerin versuchen Sie, selbst gegenüber Putin professionell zu bleiben. Warum schreiben Sie Putin, Russland und Weißrussland in Ihrem Buch klein?

Havryliv: Das mache ich aus Solidarität mit meinen Landsleuten. Denn seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine schreiben viele Ukrainer die drei Worte klein. In der Ukraine gibt es die orthografische Regelung, dass Namen von erbärmlichen Personen kleingeschrieben werden. Für Länder besteht diese Regel eigentlich nicht. Doch unsere Sprachwissenschaftler zeigen sich offen, dass auch Namen von Ländern wie Russland und Weißrussland, die Abscheu verdienen, kleingeschrieben werden.

Russland ist in Ihrer Heimat zum Schimpfwort geworden.

Havryliv: So ist es. Und viele sprechen von "Raschisten", was eine Kombination aus "Russia", dem englischen Wort für Russland, und "Faschisten" ist. In der Ukraine sind Verwünschungen populär. Und so wünschen sich dort viele Bürgerinnen und Bürger, die Russen mögen in der Hölle schmoren. Und sie sollten am eigenen Leibe erleben, was die Ukrainerinnen und Ukrainer erleben

Und was wünschen die Ukrainer Putin?

Havryliv: Sie wünschen sich, dass Putin dort hinkommt, wo er hingehört, nämlich vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Dort solle ihm der Prozess gemacht werden.

Ihre Eltern leben noch in der Ukraine.

Havryliv: Sie leben im Westen der Ukraine. Ich habe sie seit zwei Jahren nicht mehr besucht. Jedes Mal, wenn ich sie anrufe, sagen sie: "Bleibt, wo ihr seid. Wir wurden schon wieder bombardiert." So bleiben wir in Wien. 

Das Wienerische ist ein mit deftigen Schimpfworten gesegneter Dialekt. Wie erleben Sie als Ukrainerin den dortigen Schmäh- und Fluch-Kosmos?

Havryliv: Wenn Wiener und Ausländer aufeinanderprallen, kann es lustig werden. Dann entstehen schon mal Missverständnisse. So erzählte mir eine Bekannte über einen ihrer aus der Ukraine kommenden Sprachschüler eine lustige Geschichte. Er berichtete ihr, sein Arbeitgeber sei an sich in Ordnung, doch zum Abschied sage er immer wieder „Fick di“ zu ihm.

Ein sonderbarer Abschiedsgruß.

Havryliv (lacht): Der Arbeitgeber sagte „Pfiat di“. Das hat der Ukrainer missverstanden und war irritiert. Zum Glück konnte meine Bekannte Aufklärung schaffen.

Wann ist ein Wort ein Schimpfwort?

Havryliv: Jedes aggressiv gebrauchte Wort kann ein Schimpfwort sein. Eine große Gruppe der Schimpfworte geht auf das Tierreich zurück, zeigen meine Forschungen. Menschen schmähen sich nicht nur als Ochse, Ziege, Hund oder Esel, sie bezichtigen sich auch, eine Natter, Giftkröte, Filzlaus oder Zecke zu sein. Dann werden Worte aneinandergereiht. So kommt es zur Zimtziege und Schnapsdrossel. Begriffe aus dem Kosmos des Fäkal-Analen sind nach wie vor über alle Generationen hinweg sehr populär und dominieren die Schimpfwort-Welt im deutschsprachigen Raum. Das lässt sich von Wolfgang Amadeus Mozart bis zu Dieter Bohlen verfolgen. Vielleicht brauchte Mozart, der so schöne Musik komponiert hat, einen vulgären Ausgleich mit allerlei Scheiß- und Furzworten.

Gebrauchen Menschen mit einem niedrigeren sozialen Status besonders deftige Schimpfworte?

Havryliv: Ich habe mit meinen Forschungen die verbreitete Annahme, dass Menschen mit einem niedrigeren sozialen Status stets derber schimpfen und fluchen, widerlegt. Der Gebrauch von vulgären Worten ist in sozialer Hinsicht einheitlich.

Wirklich?

Havryliv: Grundsätzlich stimmt das. Es ist aber zu beobachten, dass Menschen mit einem höheren Bildungsgrad seltener zu vulgären Worten greifen, diese aber gezielter einsetzen. So sagte der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt, als er auf die galoppierende Inflation in der Weimarer Republik zu sprechen kam: „Dann ging die Scheiße wieder los.“

Je nach Situation können Schimpfworte anders wirken.

Havryliv: Auf diesen Zusammenhang stoße ich in meiner Arbeit immer wieder. So beobachte ich, wie zwei Freunde, die aus dem Nahen Osten kommen, sich anlächeln und als "Scheiß-Kanak" begrüßen. Die Freunde empfinden das nicht als Beleidigung. Sie haben Freude am Spiel mit verbotenen Worten. Indem sie sich „Scheiß-Kanak“ nennen, demonstrieren sie, dass ihre Freundschaft so eng ist, dass sie auch ein solch schlimmes Wort verkraften kann. So werden Schimpfworte unter Spezeln scherzhaft in die Begrüßung integriert und sogar als Zeichen der Wertschätzung interpretiert. "Servus, du Arsch" ist ein Beispiel dafür. Das ist typisch für Männer. Junge Männer begrüßen sich schon mal mit "Fuck you Digger", ohne das als beleidigend zu empfinden, wobei "Digger" für Freund und Kumpel steht.

Halten sich wenigstens Frauen beim Begrüßen zurück?

Havryliv: Was die Begrüßung betrifft, halten sich Frauen mit Schimpfworten und Drohungen zurück. Freundinnen können aber untereinander auch sehr derb sein, ohne dass dies zum Bruch führt. So sagt schon mal eine Frau beim Kleider-Probieren zu einer anderen: "Du schaust aus wie eine dicke Kuh." Dabei ist es sehr subjektiv, was Frauen als beleidigend empfinden. Ältere Frauen sagten mir in Interviews, sie würde es besonders treffen, wenn sich einer abschätzig über ihr Alter oder ihr Äußeres auslässt. Dabei würde es sie weniger hart treffen, Hure genannt zu werden.

Warum das denn?

Havryliv: Wer offensichtlich unwahre Dinge sagt, kann schimpfen, ohne dass es die betroffene Person als beleidigend empfinden muss. Eine Frau sagte mir: "Das trifft mich nicht so, weil ich weiß, dass ich keine Hure bin." Wer jedoch eine korpulente Person dick nennt, beleidigt sie, zumal wenn man weiß, dass die Betroffene mit ihrem Körpergewicht hadert. Da könnte es für die Adressatin weniger schlimm sein, als Arschloch beschimpft zu werden.

Das ist doch eine heftige Beleidigung.

Havryliv: Doch Arschloch kann man zu jedem sagen. Bei solch universalen Schimpfworten steht die begriffliche Bedeutung ohnehin im Hintergrund und die emotionale Bedeutung schiebt sich in den Vordergrund. Solche Schimpfworte beinhalten keine konkrete Aussage über die oder den Beschimpften. Affekt-Ausrufe wie "Arschloch" sagen mehr über die schimpfende Person aus.

Als Beobachter privater Fernsehsender und sozialer Medien lässt sich ein seltsamer Trend beobachten: Da begrüßen sich Frauen, oftmals Rapperinnen, gegenseitig als "Bitch", eben als Miststück oder Schlampe. Sie wirken allerdings nicht beleidigt und outen sich zudem als Feministinnen. Was ist da schiefgelaufen?

Havryliv: Wenn sich junge Frauen lachend als Bitch bezeichnen, versuchen sie, den Begriff umzudeuten. Indem sie das Wort häufiger gebrauchen, nehmen sie ihm auf Dauer die negative Bedeutung und werten es auf, sodass es für Männer nicht mehr interessant ist, Frauen als "Bitch" abzuwerten. Der beleidigende Kern des Wortes wird abgeschliffen. Und das passt dann auch in das feministische Konzept dieser Frauen.

Die Schimpfwort-Welt ist reich an abstoßenden Dingen. So bezeichnen sich Jugendliche heute immer noch als "schwul" oder "behindert". Was können Eltern und Lehrer dagegen unternehmen?

Havryliv: Meine Studien zeigen, dass Jugendliche sehr häufig das Wort "behindert" nutzen. Hierbei handelt es sich um eine indirekte Beleidigung, was vielen jungen Menschen nicht bewusst ist. Wenn aber Eltern oder Lehrer sie darauf ansprechen, dass sie damit Menschen diskriminieren, also indirekt beleidigen, kann man Kindern und Jugendlichen bewusst machen, was sie bewirken, wenn sie Worte wie "schwul" und "behindert" gebrauchen. Nach meiner Erfahrung entscheiden sie sich dann oft dafür, die Begriffe nicht mehr als Schimpfwort zu verwenden.

Schimpfen eigentlich alle Menschen?

Havryliv: Manche meiner Interviewpartnerinnen und -partner behaupteten wirklich, sie würden nicht schimpfen. Dann habe ich nachgehakt und die Gesprächspartner gestanden doch ein, zumindest beim Autofahren zu schimpfen. Nach meinen Erkenntnissen schimpfen Menschen am häufigsten beim Autofahren, zumal die Beschimpften die verbalen Schmähungen meist nicht mitbekommen. Ich kann nicht am Steuer schimpfen, weil ich kein Auto habe.

Was halten Sie von Menschen, die, sobald ein anderer den Raum verlässt, über diesen gegenüber den verbliebenen Gesprächspartnern herziehen? Ist das nicht feige und schäbig?

Havryliv: Das finde ich nicht. Manchmal muss man einfach den Druck herauslassen – und dabei hilft es einem zu schimpfen. Schließlich kann es die berufliche Existenz gefährden, wenn öffentlich wird, dass man eine Kollegin oder einen Kollegen direkt offen beleidigt. Wer also direkt den Chef oder Kunden beschimpft, kann Probleme bekommen. Doch irgendwie muss die Wut raus. Dann schimpfen Menschen hinter dem Rücken über andere, die nicht im Zimmer sind. Nach meinen Umfragen beschimpfen Menschen nur in einem Drittel der Fälle direkt andere Menschen. 

Ist Schimpfen gut für die Psyche?

Havryliv: Schimpfen ist gut für die Psyche, weil sich dadurch Aggressionen abbauen lassen. Wer schimpft, reagiert seine negativen Emotionen ab. Insofern kann Schimpfen auch gut für die Gesundheit sein. Gerade indirektes Schimpfen bietet sich hier an. Kann der Beschimpfte die Beschimpfungen nicht hören, kann man sich besser abreagieren. Wer direkt einen Menschen verbal herabsetzt, empfindet zwar zunächst eine große Entlastung, spürt dann aber bald eine Belastung, weil sich bei ihm Schuldgefühle, Scham und Unzufriedenheit mit sich einstellen.

Wie schimpft eine Schimpf-Expertin? Bekommen ihre Kinder und ihr Mann, der ein bekannter ukrainischer Schriftsteller ist, viel ab?

Havryliv: Mit meinem Mann schimpfe ich nicht, aber mit den Kindern schon. Ich beleidige meine Kinder aber nicht, sondern versuche, neutral zu schimpfen.

Wie schimpft man seine Kinder neutral?

Havryliv: Ich greife die Kinder nicht persönlich an, sondern treffe nur empörend kritische Feststellungen wie "Lasst du wieder deine verdammten Socken herumliegen" oder "Was macht der Teller unter dem Bett?" Wenn man als Mutter Dampf ablassen muss, sollte man auf eine Situation, also etwa auf herumliegende Socken, abstellen. Es ist jedoch ratsam, den Sohn nicht offensiv einen verdammten Faulpelz zu nennen, auch wenn er es ist. Ich verwende also keine Schimpfworte, rege mich aber in neutraler Sprache mit entsprechender Lautstärke gegenüber meinen beiden Söhnen auf. 

Sind Eltern besonders cool, wenn sie Schimpfworte ihrer Kinder gebrauchen?

Havryliv: Eltern sollten auf keinen Fall die Schimpfwort-Sprache ihrer Kinder nachahmen, also sie etwa mit "Fuck you, Digger" begrüßen. Das wirkt genauso komisch, wie wenn man mit über 50 noch zerrissene Jeans anzieht.

Was ist eigentlich die größere Beleidigung: "Du Arschloch" oder "Sie Arschloch"?

Havryliv (lacht): Wenn man seinen Chef sonst siezt und ihn als "Sie Arschloch" anspricht, ist das sicher noch eine stärkere Beleidigung, als wenn man "Du Arschloch" zu ihm sagt.

Wird unsere Gesellschaft verbal vulgärer und aggressiver?

Havryliv: Während der Coronazeit haben die verbalen Drohungen zugenommen. Da hört sich der Spaß auf, wenn Politiker und auch Journalisten massiv verbal beleidigt werden. Menschen regieren ihren Frust und ihre Verärgerung zunehmend in sozialen Medien ab. Die Aggressivität aus der Anonymität heraus nimmt zu. Menschen drohen etwa: "Ich weiß, wo du wohnst. Ich warte mit einem Messer auf dich." Das geht weit über Schmähungen hinaus. Hier geht es um Straftatbestände. Durch die sozialen Medien werden Beschimpfungen und Bedrohungen sichtbarer, sodass der Eindruck entstehen kann, unsere Zeit sei vulgärer und aggressiver. Früher passierte das hinter verschlossenen Türen. Jetzt sind die Türen weit offen. Wir schimpfen heute nicht mehr als früher, aber das Schimpfen wird sichtbarer.

Wie entspannt eine Schimpfwort-Expertin in der vulgärfreien Zeit?

Havryliv: Ich gehe hinaus in die Natur. Ich beobachte Vögel, fotografiere und halte mich mit Nordic Walking fit. Doch auch das half irgendwann nicht mehr. So habe ich mich in der intensiven Phase des Schreibens meines Schimpfwortbuches zum Ausgleich in Hausarbeit gestürzt und erkannt: Verstopfte Abflüsse zu reinigen, macht nicht nur die Rohre frei, sondern schafft Platz für neue Gedanken.

Schimpfen und fluchen Frauen anders als Männer?

Havryliv: Frauen schimpfen und fluchen nicht anders als Männer.

Wirklich?

Havryliv: Meine Untersuchungen zeigen, dass sich das Schimpfen und Fluchen von Frauen meist weder quantitativ noch qualitativ unterscheidet. Frauen schimpfen also insgesamt nicht weniger als Männer und greifen auch zu Fäkal-Ausdrücken. Es gibt lediglich Unterschiede, was die Form und die Wahrnehmung des Schimpfens betrifft. 

Zur Person: Oksana Havryliv, 52, lebt als Sprachwissenschaftlerin in Wien. Die Germanistin und Mutter zweier Söhne stammt aus der Ukraine und gilt als die führende Schimpfwort-Expertin im deutschsprachigen Raum. Sie beschäftigt sich schon seit 30 Jahren mit dem Thema.

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